„Das Problem ist die FIFA“ fotball.ne -- Lise Klaveness, Präsidentin des norwegischen Fußballverbandes
Interview mit der norwegischen Funktionärin LIse Klaveness

„Das Problem ist die FIFA“

  • Frank Heike
Mit einer nur sechs Minuten langen Rede schrieb sie Fußballgeschichte: Auf dem FIFA-Kongress in Doha am 31. März trat Lise Klaveness (41) ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Die kurz zuvor ins Amt gewählte Präsidentin des norwegischen Fußballverbandes hatte die Umstände der WM-Vergabe nach Katar sowie den Gastgeber selbst deutlich kritisiert. Ihrer weltweit beachteten Rede folgte eine scharfe Replik des WM-Cheforganisators Hassan Al-Thawadi, die von katarischer Seite inhaltlich seither immer wieder neu aufgelegt wird. Bis jetzt, wo der Ball in der Wüste rollt. Frank Heike traf die ehemalige Fußball-Nationalspielerin in Oslo.
Frau Klaveness, gehen wir zurück in den März 2022. Wie haben Sie ihre sechs Minuten lange Rede beim FIFA-Kongress in Doha in Erinnerung?

Vorweg: Ich war sehr entschlossen, genau das zu sagen, weil es etwas war, das unser Kongress entschieden hatte, den Präsidenten sagen zu lassen. Es war nicht mein Sololauf. Im Juni 2021 hatten wir eine sehr heiße Debatte in Norwegen, ob wir die WM boykottieren wollen oder nicht. Die Mitglieder entschieden sich dagegen, aber wir entschieden auch, viele Sachen zu tun, sollten wir mit unserer Nationalmannschaft dabei sein – wir waren damals ganz gut in der Qualifikation. Wir wollten eine aktive Haltung einnehmen, wir wollten versuchen, die FIFA, Katar und uns selbst als Verband dahinzubringen, dass Menschenrechte gestärkt würden. Ein Teil dieser Aufgaben war, auf dem FIFA-Kongress nach vorn zu gehen und die Nichteinhaltung von Menschenrechten zu kritisieren. So wurde es mein Job, meine Pflicht.

Wie war die Atmosphäre damals? Sie waren ja nicht zuletzt auch eine Newcomerin …

Es war feindselig. Aber ich war gewarnt worden, gut vorbereitet und sehr entschlossen - und mir war klar, dass dies meine politische Karriere ruinieren könnte, bevor sie richtig begonnen hat, und ich dachte mir: wenn es so kommt, okay.

Einige Ihrer Standpunkte werden Ihnen als Kritik am mittleren Osten ausgelegt.

Es hat gar nichts mit dem Mittleren Osten zu tun! Oder damit, dass ihre Kultur falsch oder böse ist. Ich liebe ihre Kultur, ich habe arabische Freunde und ich bin eine sehr liberale Person. Ich wünsche mir mehr Immigration nach Norwegen. Diskussionen über verschiedene Kulturen sind notwendig und wünschenswert. Ich führe sie bescheiden, demütig, interessiert. Das Problem ist die FIFA. Wir sind ein großes Risiko eingegangen. Wenn du dem mittleren Osten Mega-Events im Fußball anvertraust, brauchst du einen sehr guten und durchdachten Plan. Dieser Plan beginnt damit, ein Ziel zu definieren, warum du den mittleren Osten die Durchführung einer WM anvertraust. Dieses Ziel darf aber nicht sein, möglichst viel Geld zu verdienen. Denn damit tötest du Menschen.

Welche Rolle schreiben Sie dem Fußball zu?

Es ist nicht der Job des Fußballs, Probleme zu lösen. Das wäre falsch. Wir steuern jetzt auf eine solche WM zu, in der ein großes Risiko eingegangen wurde, weil es keinen klaren Plan gab, die kulturellen Unterschiede zu übersetzen. Nun ist es so, dass wir homosexuelle Menschen in Katar Risiken aussetzen. Und an dieser Stelle werden wir leider in die Politik hineingezogen. Wir sind ein kleiner Verband. Wir glauben nicht, die Lösung zu sein, wir sind bescheiden. Aber unsere fehlende Größe gibt uns die Möglichkeit, sehr klar zu sein – wir sind nicht der DFB. Ich habe großen Respekt vor den großen Verbänden, vor allem vor denen, die einen guten Job machen, was der DFB nun unter Bernd Neuendorfs Führung tut. Er will wirklich Veränderung, das ist mein Eindruck. Er war einer der ersten, der mich nach meiner Rede anrief. Er hat sich mit den Themen befasst, ist tief drin, genau wie die Präsidentin des britischen Verbandes, Debbie Hewitt. Bernd spricht mit Infantino, er spricht mit mir, das hat mich inspiriert, denn er führt einen großen Verband mit einem riesen Portfolio an Themen an. Und nun arbeiten wir zusammen. Es ist normal, dass sie ein bisschen konservativer sind als wir. Wir sind keine Moralisten, wirklich nicht. Obwohl die Überschriften fälschlicherweise jetzt so klingen.

Sie sind als Heldin bezeichnet worden, als Aufklärerin. Was macht das mit Ihnen?

Darauf beziehe ich mich nicht. Wir brauchen mutige Anführer. Wie sonst? Wer sonst sollte all die Dilemmata auf der Welt sonst ansprechen?

Kann der Fußball Probleme lösen?

Fußball ist die größte Bewegung der Welt. Ich glaube, nichts ist zu groß für den Fußball. Es beeinflusst alles. Wir können in den Fußball alle einschließen, aber auch viele ausschließen. Fußball ist eine globale Macht, insofern kann man nicht sagen, etwas sei zu groß für Fußball. Er beeinflusst Milliarden von Menschen, und er setzt Milliarden von Dollar um. Werte, Gender, Infrastruktur, der Fußball hat alles. Deswegen liebe ich Fußball. Mein Ziel ist nicht, Katar aus dem Fußball rauszuhalten. Gar nicht. Mein Ziel ist auch nicht, Infantinos FIFA für alles zu kritisieren. Ich habe Respekt vor der großen Aufgabe, alle Länder dieser Erde im Fußball zu repräsentieren. Aber ich habe das Gefühl, dass wir sehr eilig gegensteuern müssen, denn der Fußball entwickelt sich immer weiter in eine Mega-Event-Richtung, in die Super-League-Richtung. Wenn wir dort landen, haben wir das globale Fußballprojekt ruiniert. Ich will gar nicht sagen, dass der Fußball in eine falsche Richtung abbiegt. Er bewegt sich einfach dahin, wo ihn manche Stakeholder haben wollen. Sie haben sicher gute Argumente. Ich habe andere. Menschen sind im Laufe der Vorbereitung dieser WM gestorben! Der Kern des Fußballs ist für mich, dass niemand ausgeschlossen wird. Dass die USA gegen Iran spielen können, Katar gegen Saudi-Arabien. Norwegen gegen Katar. Dass gegeneinander Fußball gespielt wird, selbst wenn Länder politisch längst nicht mehr kooperieren. Der Fußball muss weiterlaufen. Und das steht auf dem Spiel.

Das Thema der Arbeitsmigranten ist das wohl umstrittenste. Wie kann es dort bei all den kulturellen Unterschieden einen Konsens geben?

Auf dem Papier haben sie in Katar ganz viel verändert. Vielleicht wegen des internationalen Drucks. Das habe ich nicht zu beurteilen. Sie haben das Kafala-System modifiziert, sie haben Mindestlöhne eingeführt, sie haben Arbeitsvertreter. Das sind alles wichtige Schritte auf dem Weg zu Gewerkschaften. Meine Meinung ist aber: Ein Land ohne sportliche Infrastruktur sollte keine WM bekommen, weil es dann zu viele Schritte in zu kurzer Zeit machen muss. Auch sollte kein Land eine WM bekommen, das keine Frauen-Nationalmannschaft hat. Ich mag den Vorrang des Männerfußballs nicht.

Ist unser westlicher Blick nicht grundsätzlich voller kultureller Vorurteile und Besserwisserei?

Ich verstehe die Frustration in Katar, wenn es aus dem Westen immer heißt, das sei nicht genug. Aber nur, weil es Veränderungen gab, können wir nicht akzeptieren oder vergessen, was davor jahrelang passiert ist. Du kannst das Leiden nicht vergessen. Sie versprechen, alles zu verändern und nach der WM auch beizubehalten – ich glaube jedoch, dass einzige, was implementiert wurde, ist der Mindestlohn. Den gibt es wirklich. Aber die Hitze, die Vergewaltigungen, die fehlende Rechte – da würden die Arbeitsmigranten sicher sagen, es habe sich nichts verändert. Wenn es keine Gewerkschaften gibt, die die Arbeiter auf diese Dinge hinweisen, fehlt dem Gebäude das Fundament. Deswegen ist das Migranten-Zentrum mehr als eine Anlaufstelle. Es ist ein Prinzip. Auch wenn in Katar gesagt wird, wir wollen es nur einführen, um als Sieger dazustehen.

Oliver Bierhoff hat unlängst sinngemäß gesagt, die deutschen Spieler sollten Fußball spielen, für die Haltung zum Thema Menschenrechte sorge Präsident Bernd Neuendorf.

Spieler sollten nicht dazu gedrängt werden, etwas Unbequemes zu sagen. Sie haben genug Druck. Wir wollen, dass sie als Weltklasse-Athleten Leistung bringen. Wir sagen nicht: Setze dich bei der WM für die Werte von Amnesty ein, und wir sehen, was noch an Fußball für dich übrigbleibt, vielleicht gelingt dir sogar ein Tor. Mir ist wichtig, dass wir Verantwortung verteilen. Der Kapitän, der Trainer, die Verbandspräsidentin: Die können etwas zu den Menschenrechten in Katar sagen. Aber wir brauchen keine Mixed-Zones, wo 100 Leute jeden einzelnen danach fragen. Die Menschen wollen das getrennt haben. Das hat nichts mit Feigheit zu tun, dass Spieler zu Politik besser schweigen – es ist nicht ihr Job! Außer, sie wollen es. Ich werde es in Katar tun, ich bin ja nun etwas freier, dadurch, dass Norwegen nicht dabei ist.

Werden Sie dort sein?

Ich werde den FIFA-Kongress vor der WM besuchen. Ich werde Bernd Neuendorf begrüßen und dem DFB viel Glück wünschen; ich werde ihm in die Augen schauen und auf ihn setzen, denn der DFB repräsentiert nun die UEFA-Arbeitsgruppe für Menschenrechte. Dazu gehören Deutschland, England, Belgien, die Niederlande, Schweden und Dänemark. Aber ich werde nicht in die Stadien gehen. Ich werde ein, zwei Tage da sein. Boykottieren wollten wir nicht. Wir haben es diskutiert und uns dagegen entschieden.

Suchen Sie Verbündete?

Ja, das tun wir. Die Mitglieder der UEFA-Arbeitsgruppe sind unsere Verbündeten. Wir kämpfen für Wandel. Natürlich diskutieren wir, wie klar unsere Kommunikation sein kann. Wir haben ja Mitglieder verschiedener Größen. Das sind komplexe Diskussionen. Aber wir alle glauben wirklich an diese Kooperation. Das sind wirklich gute Verbündete und ich hoffe, sie sehen es auch so. Ich muss mich und den Verband manchmal etwas bremsen, denn wir sind klein und nicht dabei, aber sehr, sehr offensiv im Thema Menschenrechte. Deswegen ist es so wichtig, dass uns die britische FA und der DFB im Kampf um den Entschädigungsfonds für Arbeitsmigranten und das Migrationscenter in Katar unterstützen. Allein das war meine Arbeit wert.

 

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